Text:
Karla Hoppe
Es ist Donnerstag 12 Uhr, neun schwarzgekleidete Herren schreiten würdevoll durch die Menge von Schaulustigen an dem Nordeingang der Kathedrale. Es sind acht Stellvertreter und ein Gerichtsdiener von acht verschiedenen Bewässerungsgräben (Bezirke) für die valencianischen Obst- und Gemüsegärten (huerta), die das Wassergericht (Tribunal de las Aguas) bilden.
Diese Laienrichter sind selber Bauern und werden unter den Bauern der acht Bewässerungsbezirke
der Huerta, unter ihnen ein Präsident, gewählt. Der Gerichtsdiener stellt im Halbkreis ein Eisengitter mit Eingangstür und acht Holzstühle auf vor dem "Tor der Apostel" der Kathedrale. Punkt 12 Uhr mittags (arabisches Tagesende) nehmen die Richter auf den ihnen zugeordneten Stühlen Platz und fällen bei Streit in Wasserangelegenheiten unter den Bauern ihre Urteile (in valencianisch). Jede Woche versammeln sie sich hier, um eventuelle Klagen von Landwirten im Zusammenhang mit der Bewässerung ihrer Felder anzuhören. Ohne Rechtsanwälte werden innerhalb wenigen Minuten mündliche Urteile gefällt, die unwiderruflich sind und ohne Einspruch oder Berufung akzeptiert werden müssen. Einzigartig in ihrem Bestehen seit über tausend Jahren, sind die Verfahrensprinzipien, die auch modernen Anforderungen entsprechen, und es ist auch als einziges Gericht dieser Art in der spanischen Verfasssung legitimiert.
In Mittelmeerländern wie Spanien, ist Wasser ein Gut, mit dem sorgsam umgegangen werden
muß. Auch in Valencia ist das Wasser eng mit der Stadt und ihrer Geschichte verbunden.
Besonders in Zeiten der Trockenheit, wenn der Turia kaum Wasser hatte, wurde eine einheitliche Regelung der Bewässerung notwendig. Der Brauch eines Wassergerichts hat sich bis in die heutige Zeit erhalten.
In Valencia, 138 v. Chr. von den Römern auf einer kleinen Insel gegründet, war das Wasser nicht nur zum Trinken da, es war Teil ihrer Kultur, und bei Wasserknappheit wurde fahrlässiger Umgang, z.B. Verschwendung, hart bestraft.
Der Tag dieser Veranstaltung des Gerichtes hat sich seit der ersten geschichtlichen Erwähnung von 960 n. Chr., als die Araber ihr Wissen über ertragreiche landwirtschaftliche Nutzung und Anbaumethoden nach Spanien brachten, nicht verändert - der maurische Samstag fällt auf den christlichen Donnerstag.
Diese Tradition geht daher weit zurück, nicht nur der Zeitpunkt, sondern auch der Ort vor der christlichen, gotischen Kathdrale geht auf maurischen Ursprung zurück. Der Bau der Kathedrale erstreckte sich über Jahrhunderte. Drei Portale zeigen völlig verschiedene Baustile. Die älteste aus romanischer Zeit, die Haupttür aus dem Barock des 18.Jahrhunderts und die dritte, wie die "Puerta de los Aposteles" (Tor der Apostel) im gotischen Stil. Als nun im 13. Jahrhundert auf den Resten einer Moschee die Kathedrale errichtet wurde, hatten Bauern, die nicht getauft waren, keinen Zugang mehr zum Gotteshaus. "Um aber Urteilssprüche auch für "Ungetaufte" anwenden zu können - fast sämtliche Landwirte waren "ungetauft" - wurden die Verhandlungen vom Inneren der Kathedrale nach draußen - unter freien Himmel vor dem Tor der Apostel - abgehalten. "Man sagt, alles sei noch genauso wie zur Zeit der Araber, ihre eigentlich Funktion hat das Wassergericht nie verloren", erklärt unser valencianischer Begleiter, "auch wenn es heute zu einer Touristenattraktion geworden ist".
Wasser als spendendes Lebenselixir symbolisiert auch der große, ovale Brunnen auf dem Platz der Heiligen Jungfrau (Plaza de la Virgen). Er steht stellvertretend für das Wasser des Flusses Turia und der Bewässerungskanäle für die valencianische Huerta. Die Gestalt in der Mitte stellt den Fluss Turia dar und die acht Frauenfiguren mit Krügen, aus denen Wasser sprudelt, symbolisieren die acht von den Mauren gebauten Bewässerungskanäle, die Valencia zu einer blühenden Oase gemacht haben.
Unvorstellbar, dass der Turia einmal schiffbar war. Im Flußbett floß jahrzehntelang ein spärliches
Rinnsal bis es 1957 zu einer verheerenden Katastrophe kam und der Fluß über die Ufer trat und Tote forderte. Heute ist der Fluß um die Stadt umgeleitet: wo einst Wasser floß, sprießt jetzt neues Leben.
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